Einführung von Mike Powelz
Einführung von Mike Powelz
Ein wunderschönes Luxushotel, in dem alle Gäste sterben.
In ein Hospiz kann ein Kranker freiwillig einziehen, wenn die Ärzte ihn nicht mehr heilen können und seine verbleibende Lebenszeit überschaubar ist – aufgrund von Krebs, Aids oder einer anderen tödlich verlaufenden Krankheit.
Im Grunde ähnelt ein Hospiz tatsächlich einem Hotel. Kein bisschen düster. Weiße Ärztekittel? Fehlanzeige. Haustiere? Erlaubt. Feste Besuchszeiten? Nein. Klavierkonzerte und Entertainment? Ja. Vorzeitig auschecken? Auch das kommt vor.
Doch natürlich gibt es Unterschiede zu normalen Hotels. Schließlich sterben die Gäste im „Hotel Hospiz“. Außerdem sind sie ehrlicher als an jedem anderen Ort. Bei gemeinsamen Mahlzeiten oder Festlichkeiten gestehen die Gäste, egal welcher Provenienz, einander ihre schönen oder schmutzigen Geheimnisse, Lebenslügen und Fehler. Manchmal verraten sie Fremden sogar mehr als ihren engsten Familienangehörigen.
Als mein Vater in ein Hospiz kam, blieben meine Mum und ich vier Wochen lang an seiner Seite. Später schrieb ich eine Reportage über Todkranke im Hamburger Hospiz „Leuchtfeuer“ – das mitten in St. Pauli angesiedelt ist. Die Flockenleserin spielt in einem erfundenen Hamburger Hospiz. Auch die Handlung, alle kriminellen Delikte und alle handelnden Personen sind frei erfunden (mehr dazu in der drittletzten Passage des Nachworts). Bis auf sieben Ausnahmen: Mein Vater, meine Mutter, meine Schwester und ich tauchen als Romanfiguren auf – ebenso wie die berühmte Rückführerin Ursula Demarmels, die das Standardwerk der Rückführungstherapie „Wer war ich im Vorleben?“ (Heyne Verlag) verfasst hat, ihr Ehemann und ein alter Vagabund namens Rudi Weiß. Die Geschichte vom Sterben meines Vaters hat sich genau so ereignet, wie ich sie in diesem Roman schildere.
Aber dieses Buch ist noch aus einem weiteren Grund etwas Besonderes. In Die Flockenleserin dreht sich alles um das Abenteuer Sterben. Das Buch basiert auf Gesprächen, die ich mit Hospizgästen, Todkranken, Psychologen, Pflegern und Angehörigen geführt habe – doch diese Gespräche sind dramaturgisch verdichtet. Außerdem liegen manchen Ereignissen in diesem Buch Fakten und Ereignisse zugrunde, die ich in Büchern und Artikeln zu den Themen „Hospiz und Tod“ recherchiert habe. Die Quellen werden im Nachwort genannt. Eigentlich ist dieser Kriminalroman eine heimliche Gebrauchsanleitung für den Tod. Die Flockenleserin wird Ihnen den Großteil Ihrer Angst vor dem Sterben nehmen und Ihnen helfen, wenn Ihre Eltern, Ihr Partner oder Sie selbst einmal in ein Hospiz einziehen wollen oder müssen.
Vielleicht bringt Sie Die Flockenleserin aber auch auf die Idee, Geld an ein Hospiz zu spenden oder einmal im Leben eine Sterbe-Patenschaft zu übernehmen. Bislang haben wir nur am Anfang des Lebens einen Paten. Warum nicht auch am Ende? Es ist bereichernd für beide Seiten. Falls Sie nach der Lektüre Lust darauf haben, einen Sterbenden zu begleiten oder sich ein Hospiz von innen anzuschauen, sollten Sie es tun.
Lust? Ein Bekannter von mir stolperte über diesen Begriff. Dabei ist er völlig korrekt. Das Erlebnis kann Ihr Leben schöner und lebenswerter machen – auch wenn Sie sich das nicht vorstellen können. Warum? Sie können lernen, wie Sie besser leben und fundamentale Fehler vermeiden können, die viele Sterbende bereuen. Todsicher.
Vielleicht finden Sie den Begriff Flockenleserin komisch oder sperrig und fragen sich, ob der Krimi nicht besser Der Sensenmann oder Der Serienmörder im Hospiz heißen sollte. Oder ob Thriller nicht besser klingt als Kriminalroman. Oder ob Blutspritzer, Injektionsspritzen, Gift und Pistolen auf dem Cover nicht spannender wären als Schneeflocken, die Sie vielleicht an Weihnachten oder einen Gedichtband erinnern. Die Antwort auf alle drei Fragen lautet Nein. Fast alle Menschen lesen Flocken, wenn sie sterben. Was das bedeutet, werden Sie verstehen, wenn Sie die Hauptfigur des Krimis bis zum Ende begleitet haben – und Minnies letzte Liebe miterlebt haben.
Ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung mit Die Flockenleserin – Ein Haus. Zwölf Menschen. Ein Mörder.